Second-Life-Strategie: Wie gebrauchte E-Auto-Akkus ein zweites Leben erhalten

Gastbeitrag von Moritz Kopp, Geschäftsführer von Teslabs

Elektromobilität wird oft als eine der Lösungen für einige der drängendsten ökologischen Herausforderungen unserer Zeit gesehen, insbesondere im Hinblick auf den Klimawandel und die Luftverschmutzung in städtischen Gebieten. Doch während viele die Vorteile von Elektrofahrzeugen feiern, rücken die Fragen über den Lebenszyklus ihrer Batterien immer stärker in den Vordergrund. Was passiert mit diesen Energiepaketen, wenn sie nicht mehr in der Lage sind, ein Auto effizient anzutreiben?

In einer Welt, die sich zunehmend mit den Auswirkungen des Konsums und der Entsorgung auseinandersetzt, bieten sogenannte „Second-Life“-Strategien für E-Auto-Batterien eine spannende Perspektive. Anstatt sie als Abfall zu betrachten, könnten diese Batterien ein zweites Leben beginnen, welches über den eigentlichen Fahrzeugbetrieb hinausgeht. Könnte dies der Schlüssel sein, um den Übergang zur Elektromobilität wirklich nachhaltig zu gestalten?

In diesem Beitrag tauchen wir in die Welt der Second-Life-Batterien ein, untersuchen ihre Potenziale, Herausforderungen und die vielfältigen Anwendungen, die sie in einer zirkulären Wirtschaft bieten könnten. Wie können wir also die Lebensdauer von E-Auto-Batterien verlängern und gleichzeitig einen positiven Einfluss auf unsere Umwelt nehmen?

Second-Life-Strategie – Was ist das?

In einer Zeit, in der Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz immer wichtiger werden, taucht ein Begriff immer häufiger auf: die „Second-Life-Strategie“. Aber was bedeutet das konkret und wie wird es im Kontext der Elektromobilität verwendet?

Grundsätzlich bezeichnet die Second-Life-Strategie die Wiederverwendung von Produkten oder ihren Komponenten, nachdem sie ihre ursprüngliche Nutzungsdauer in einem bestimmten Anwendungsbereich abgeschlossen haben. Anstatt sie zu entsorgen, werden diese Produkte oder Teile davon in einem neuen Kontext oder für einen anderen Zweck wiederverwendet. Das Hauptziel ist es, den Lebenszyklus von Produkten zu verlängern und so Ressourcen zu schonen, Abfälle zu reduzieren und die Umweltauswirkungen zu minimieren.

Im Bereich der Elektromobilität bezieht sich die Second-Life-Strategie speziell auf die Batterien von Elektrofahrzeugen. Diese Batterien, die häufig Lithium-Ionen-Batterien sind, haben zwar eine sehr lange, aber dennoch begrenzte Lebensdauer in Fahrzeugen, nach der sie nicht mehr die ursprüngliche Kapazität liefern können, um ein Fahrzeug effizient anzutreiben. Aber auch wenn sie für den Einsatz in Autos nicht mehr geeignet sind, können sie immer noch eine beträchtliche Menge an Energie speichern und abgeben. Dieses Potential kann in anderen Anwendungen genutzt werden, beispielsweise als stationäre Energiespeicher in Haushalten, Unternehmen oder sogar im industriellen Maßstab.

Die Vorteile der Second-Life-Strategie sind vielfältig. Zum einen reduziert sie den Bedarf an Neuproduktion von Batterien und spart so Ressourcen. Zum anderen verringert sie die Menge an Batterieabfällen und damit verbundene Umweltauswirkungen. Zudem kann sie wirtschaftliche Vorteile bieten, da die Kosten für die Wiederverwendung in der Regel niedriger sind als die für die Herstellung neuer Batterien.

Insgesamt bietet die Second-Life-Strategie eine nachhaltige Alternative zur herkömmlichen Wegwerfkultur. Sie eröffnet neue Möglichkeiten, den Wert von Produkten über ihren ursprünglichen Verwendungszweck hinaus zu nutzen und trägt somit zu einer zirkulären Wirtschaft bei, in der Ressourcen maximiert und Abfälle minimiert werden.

Wirtschaftliche Aspekte der Second-Life-Strategie

Neben der Kostenersparnis durch das Recycling bietet die Second-Life-Strategie eine Möglichkeit, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Unternehmen könnten beispielsweise Dienstleistungen rund um die Prüfung, Aufbereitung und den Weiterverkauf von Second-Life-Batterien anbieten. Dies könnte einen neuen Sektor in der Wirtschaft antreiben und zusätzliche Arbeitsplätze schaffen.

Außerdem könnten Verbraucher finanziell von der Rückgabe ihrer alten Batterien profitieren. Statt Gebühren für die Entsorgung zu zahlen, könnten sie eine Vergütung für ihre noch funktionsfähigen Batterien erhalten, was wiederum den Anreiz erhöht, Batterien zurückzugeben und nicht zu entsorgen.

Die Second-Life-Strategie könnte auch den Wert von Elektroautos über ihre Lebensdauer steigern. Wenn Autobesitzer wissen, dass ihre Batterien nach dem Ende der Nutzungsdauer des Fahrzeugs noch einen Wert haben, könnten sie eher bereit sein, in ein Elektroauto zu investieren.

So arbeitet Renault etwa mit „Connected Energy“ zusammen, um das sogenannte „E-STOR“-System zu entwickeln, das Second-Life-Batterien verwendet, um Elektro-Ladestationen zu unterstützen.

Das E-STOR-System von Connected Energy hat eine Speicherkapazität von 360 kWh. Es setzt sich aus Elektrofahrzeug-Batterien zusammen, die Energie aus erneuerbaren Quellen wie Solaranlagen oder direkt aus dem Stromnetz speichern können. Es lädt sich auf, wenn Energie verfügbar ist und speichert sie für Bedarfsspitzen. Durch die Verwendung von Second-Life-Batterien werden die Preise für neue Elektrofahrzeuge gesenkt und die eingesetzten Ressourcen in den Batterien effizienter genutzt.

Es wird darauf abgezielt, überschüssige Solarenergie zu speichern und die Energiekosten durch Verringerung des Netzstrombezugs in Spitzenzeiten zu reduzieren. Das Energiespeichersystem unterstützt das Netz und ermöglicht zusätzliche Einnahmen durch Netzbalancierungsdienste.

Die Technologie bietet energetische Unabhängigkeit, ermöglicht die effiziente Nutzung erneuerbarer Energien und sorgt für reduzierte Stromkosten durch die Möglichkeit, in Spitzenzeiten Energie zu sparen und Strom zurück ins Netz zu verkaufen.

Auch BMW hat sich schon am Thema „Second Life“ versucht. Die BMW Group UK und Off Grid Energy haben vor wenigen Jahren eine Partnerschaft zur Wiederverwendung von BMW- und MINI-Elektrofahrzeugbatterien als mobile Stromeinheiten eingeleitet. Trotz Ablauf ihrer Autonutzungsdauer behalten diese Batterien nämlich bis zu 80 % ihrer Kapazität. Das erste Prototypengerät mit einer Kapazität von 40 kWh aus einem MINI Electric sollte auf BMW-Veranstaltungen eingesetzt werden.

Die Rolle von Forschung und Entwicklung

Die kontinuierliche Weiterentwicklung der Batterietechnologie ist von entscheidender Bedeutung. Es gibt Bestrebungen, Batterien zu entwickeln, die länger halten, weniger schädliche Materialien enthalten und am Ende ihres Lebenszyklus leichter zu recyceln sind. Solche Fortschritte könnten die Effektivität der Second-Life-Strategie weiter erhöhen. Bei der aktuellen Entwicklungsgeschwindigkeit in der Batterie-Technologie ist es jedoch fraglich, ob die alten Energiespeicher nicht besser wiederverwertet werden um aus ihren Rohstoffen die jeweils aktuellste Batterie-Speicher-Generation herzustellen.

Mögliche Second-Life-Anwendungen

Für gebrauchte E-Auto-Batterien gibt es eine Reihe von möglichen Second-Life-Anwendungen. Dazu gehören:

  • Stationäre Speicher
  • Energiespeicher für Gebäude
  • Energiespeicher für Industrieanlagen
  • Energiespeicher für Ladestationen
  • Energiespeicher für erneuerbare Energien

In stationären Speichern können gebrauchte E-Auto-Batterien Energie aus erneuerbaren Energien speichern und bei Bedarf wieder abgeben. So können sie dazu beitragen, die Stromversorgung zu stabilisieren und die erneuerbaren Energien zu verbreiten.

Auch für Gebäude und Industrieanlagen sind gebrauchte E-Auto-Batterien als Energiespeicher interessant. Sie können dabei helfen, den Stromverbrauch zu reduzieren und die Energiekosten zu senken.

Zusätzlich können gebrauchte E-Auto-Batterien auch für Ladestationen eingesetzt werden. Sie können dabei helfen, die Ladezeiten zu verkürzen und das Stromnetz zu entlasten.

Herausforderungen der Second-Life-Strategie

Die Second-Life-Strategie ist ein zukunftsorientiertes Konzept zur Verbesserung der Umweltbilanz von Elektrofahrzeugen. Doch trotz ihrer Vorteile gibt es auch noch Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt.

  1. Qualität der gebrauchten Batterien: Für einen erfolgreichen Übergang zu einer Second-Life-Verwendung muss die gebrauchte EV-Batterie bestimmte Qualitätskriterien erfüllen. Das bedeutet, dass die Batterie trotz ihres Alters eine hinreichend hohe Restkapazität behalten muss. Außerdem dürfen während ihrer Lebensdauer im Fahrzeug keine gravierenden Schäden aufgetreten sein, die ihre Funktionsfähigkeit oder Sicherheit beeinträchtigen. Da die Lebensdauer und Leistungsfähigkeit von Batterien durch verschiedene Nutzungsszenarien im Auto beeinflusst wird, kann die Qualität stark variieren.
  2. Fehlende Standards: Der Mangel an einheitlichen Standards erschwert den breiten Einsatz der Second-Life-Strategie. Ohne eine standardisierte Herangehensweise sind Kompatibilitätsprobleme zwischen verschiedenen Batterien und Systemen vorprogrammiert. Die Etablierung gemeinsamer Richtlinien könnte die Effizienz und Sicherheit von Second-Life-Anwendungen erhöhen und gleichzeitig die Entwicklungskosten für Unternehmen senken. Quelle
  3. Technische Komplexität: Batterien aus Fahrzeugen sind in der Regel für sehr spezifische Anforderungen optimiert. Das Batteriemanagementsystem, das in einem Auto eingesetzt wird, ist möglicherweise nicht für stationäre Speicheranwendungen geeignet. Dies erfordert oft umfangreiche technische Anpassungen oder den Austausch bestehender Systeme, um eine optimale Leistung in einer neuen Anwendung sicherzustellen.
  4. Wirtschaftliche Aspekte: Während der Gedanke, Batterien ein zweites Leben zu geben, ökologisch sinnvoll ist, sind die wirtschaftlichen Aspekte komplexer. Die Kosten für die Überprüfung, Aufbereitung und Umrüstung gebrauchter Batterien können je nach Zustand und Technologie erheblich sein. In manchen Fällen könnte das Recycling von Batterien, um wertvolle Materialien zurückzugewinnen, wirtschaftlich attraktiver sein als ihre Weiterverwendung.

Second Life nicht so relevant wie gedacht?

In der aktuellen Diskussion um die Second-Life-Strategie gibt es einige kritische Stimmen, die hinterfragen, ob die Wiederverwendung von Batterien überhaupt sinnvoll ist. Ein Hauptargument dieser Kritiker ist die rasant fortschreitende Entwicklung in der Batterietechnologie. Viele Experten vertreten die Meinung, dass die Innovationszyklen in der Branche so schnell voranschreiten, dass die Lebensdauer von Batterien im Vergleich dazu recht kurz erscheint.

Wenn wir uns die Geschwindigkeit ansehen, mit der neuere und effizientere Batterietechnologien auf den Markt kommen, könnte man argumentieren, dass bis zum Ende der Nutzungsdauer eines Elektroautoakkus bereits weitaus leistungsfähigere und kosteneffizientere Batterietechnologien verfügbar sein könnten. Daher wäre es, so die Argumentation, nicht sinnvoll, ältere Batterien in anderen Anwendungen zu verwenden, wenn sie nicht mehr die neuesten und besten Technologien repräsentieren.

Ein weiterer Punkt ist das Volumen der „alten Batterien“. Wenn Elektrofahrzeuge nicht in dem Maße angenommen werden, wie prognostiziert, oder wenn die Batterien in den Fahrzeugen länger halten als erwartet, könnte es tatsächlich nicht genügend „alte Batterien“ geben, um die Investition in ihre Wiederverwendung zu rechtfertigen. In solch einem Szenario wäre es wahrscheinlich effizienter, die Batterien materialseitig zu recyclen und die gewonnenen Materialien für die Herstellung der neuesten Generation von Akkus zu verwenden.

Das Recycling von Batteriematerialien hat zudem den Vorteil, dass es den Bedarf an Rohstoffen verringert und die Umweltauswirkungen der Rohstoffgewinnung minimiert. Insbesondere bei Materialien wie Lithium, Cobalt oder Nickel, die in begrenzten Mengen verfügbar sind und deren Abbau erhebliche Umwelt- und soziale Auswirkungen haben kann, wäre Recycling eine bevorzugte Option.

Dennoch gibt es Situationen, in denen die Second-Life-Strategie sinnvoll sein kann, insbesondere in Regionen oder Anwendungsfällen, in denen die neueste Batterietechnologie nicht unbedingt erforderlich oder erschwinglich ist. Letztlich hängt die Entscheidung für oder gegen Second Life von vielen Faktoren ab, einschließlich technologischer, wirtschaftlicher und ökologischer Überlegungen.

Fazit

Die Second-Life-Strategie steht im Brennpunkt einer nachhaltigen Entwicklung im Bereich Elektromobilität. Sie bietet nicht nur ökologische Vorteile, indem sie den Rohstoffverbrauch verringert und wertvolle Materialien wieder in den Produktionszyklus zurückführt, sondern schafft auch wirtschaftliche Potenziale für Unternehmen und Konsumenten. Durch neue Geschäftsmodelle können zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen und der Wert von Elektrofahrzeugen über ihre Lebensdauer hinweg gesteigert werden.

Initiativen von Branchenführern wie Renault und BMW unterstreichen das Potenzial dieser Strategie. Gleichzeitig betont die Rolle von Forschung und Entwicklung die Notwendigkeit kontinuierlicher Innovation, um die Effektivität und Effizienz von Second-Life-Batterien zu maximieren. Durch Partnerschaften zwischen Industrie und Politik können diese Innovationen gefördert und standardisiert werden, wodurch Unsicherheiten und potenzielle Barrieren abgebaut werden.

In der Zukunft könnten wir eine verstärkte Integration von Second-Life-Batterien in unseren Alltag sehen, von stationären Speichern bis hin zu innovativen Anwendungen in verschiedenen Branchen. Mit der fortschreitenden Entwicklung der Technologie und einer verstärkten globalen Ausrichtung auf Nachhaltigkeit steht die Second-Life-Strategie vor einer vielversprechenden Zukunft.

Ein Gastbeitrag von Moritz Kopp

Kommentar von Morell Westermann zum Gastbeitrag:

Ich selber zähle mich zu den skeptischen Betrachtern des Potentiales der Second-Life Batterien. Im Hochlauf der e-Mobilität und dem Wandel zu regenerativen Energien werden elektrische Speicherkapazität zwar eine Währung. Ob dabei allerdings die Second-Life-Batterien einen entscheidenden Anteil haben werden, bezweifle ich. Das Volumen der verschiedenen Generationen von Akku-Typen erscheint mir zu klein für den Aufbau eines tragfähigen Geschäftsmodells. Dazu sind die Innovationszyklen aktuell sehr schnell und dabei verbessern sich die Parameter der Batterien so stark, das es mir wertvoller erscheint, die Rohstoffe der alten Batterien wiederzuverwerten und in Batterien der neuesten Generation zu verwandeln, anstatt immer mehr Roh-Materialien zu fördern. Unterstützt wird meine These auch im 3. Tesla Masterplan. In dem Dokument wird beschrieben, wie der Bedarf an Rohmaterialen um den Anteil sinken wird, wenn ~80% der Rohmaterialien aus dem Recycling stammen.